TANGRAM

Tangram

2002, Pavillon auf der Freundschaftsinsel, Potsdam

Thomas Kumlehn, Einladungstext, TANGRAM 2002

TANGRAM. Eine rätselhafte Bezeichnung für die architektonische Zwiesprache von Alice Bahra und Ute Safrin mit dem Pavillon auf der Freundschaftsinsel? Keineswegs.

Im quadratischen Gehäuse des Ausstellungsortes pulsieren die Volumen eines ephemeren Körpers. Auch wenn sich der Bekanntheitsgrad des gleichnamigen Spieles wahrscheinlich in Grenzen hält, ist der Titel der Ausstellung wie ein Bund mit mehreren passenden Schlüsseln für ein und dieselbe Tür geeignet.

Tangram besteht ursprünglich aus vielen verschieden geformten geometrischen Körpern,  die in unterschiedlicher Schrittfolge nebeneinander gelegt werden. Ergänzen sich die ausgewählten einzelnen Teile, formt man am Ende des Spiels einen vollständigen Quader. Für dieses Spiel ist gewappnet, wer sich in ruhiger Gemütslage der Ausgangssituation vergewissert hat, bevor die Einzelteile des ursprünglichen Quaders aus dem Etui auf den Tisch fallen, um neu zusammen gefügt zu werden. Hervorhebenswert ist auch, dass die Aufmerksamkeit der Spieler gleichzeitig der positiven und der negativen Form der einzelnen Teile gelten muss, da man sich nur so – mit zweierlei Maß – auf der gezielten Suche nach dem fehlenden Pass-Stück befindet.

TANGRAM. Eine beliebige Bezeichnung für die audiovisuelle Zwiesprache von Ute Safrin und Alice Bahra im Pavillon auf der Freundschaftsinsel? Wohl kaum.

Wachstum und Gestalt der Arbeiten passen sich dem dialogischen Charakter der Präsentation an. Die Klänge von Ute Safrin sind computergeneriert. Aus vibrierenden Tieffrequenz-Lautsprechern werden sie in der Ausstellung hörbar. Das Wispern und Knistern entfaltet und konstituiert sich zum transparenten Klangraum. Die Struktur und Ausdehnung der Arbeit von Alice Bahra hingegen wird mit Nylonfäden gesetzt. Tag für Tag werden in die gespannten Sehnen Papiere mit bleiernem Lot gehängt, die Stunde um Stunde einen wachsenden ätherischen Rhythmus entfalten, der sichtbar ist. Das Rascheln des Papiers kann eine Ahnung bleiben, die nicht hörbar werden muss.

So wie am Beginn die akustischen Elemente die sichtbaren Teile imaginieren, werden, wie in einem decrescendo, im zweiten Teil des Ausstellungszeitraumes die akustischen Anteile mehr und mehr von den sichtbaren Elementen sublimiert. Kommt Sehen, geht Hören betont in diesem Sinn die Verlaufsform der wachsenden Arbeit und deren sich verändernde Anteile aus Musik und bildender Kunst.

Hat man die eigene Interpretation von „kommt Sehen, geht Hören“ in der lautsprachlichen Übersetzung entdeckt, kann man der Aufforderung nachkommen. Fühlte man sich persönlich angesprochen, läge es noch näher, die Ausstellung zu besuchen. Was ist einfacher, als dies selbst zu tun. Denn kaum ist das Gelesene gesagt, hat der Text schon das Ohr erreicht.